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Die Holocaustforscherin Dr. Verena Buser im Gespräch mit Dr. Huthifa

Aktualisiert: 19. Mai




„Eine neue Generation, die in Frieden lebt“


Im Gespräch mit Prof. Dr. Hudhaifa Al Mashhadani, Schulleiter in Berlin-Neukölln.

Der aus dem Irak stammende Mediziner und promovierte Politikwissenschaftler Hudhaifa Al-Mashhadani lebt seit Jahren in der deutschen Hauptstadt Berlin. Wie kaum ein anderer setzt er sich intensiv für einen interkonfessionellen Dialog, gerade auch zwischen Muslimen und Juden, ein. Als Leiter der Deutsch-Arabischen Sprachschule „Ibn Khaldun“ in Neukölln steht er wohl auch deshalb seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 verstärkt im Visier islamistischer, linksextremer und sich als pro-palästinensisch verstehender Gruppen. Die Fassade der Schule wird regelmäßig mit roten Dreiecken beschmiert - genau jenem Symbol, mit dem die Hamas ihre Gegner markiert. Trotz wiederholter Drohbriefe lässt sich Hudhaifa Al-Mashhadani aber nicht einschüchtern. Mit viel Herz, gesundem Menschenverstand und Engagement macht er weiter. Denn Frieden - daran lässt er keinen Zweifel - ist möglich. Das folgende Interview mit Hudhaifa Al-Mashhadani führte Dr. Verena Buser, Holocaustforscherin in Berlin, Mitte April 2025 in Berlin-Neukölln.


Professor Al-Mashhadani, können Sie sich und Ihre Arbeit in der Deutsch-Arabischen Schule in Berlin-Neukölln kurz vorstellen?


Ja, gerne. Ich komme aus dem Irak, Nord-Bagdad, und lebe seit fast fünf Jahren in Deutschland. Ich bin Deutscher mit Migrationshintergrund, arbeite als Direktor der Deutsch-Arabischen Schule „Ibn Khaldun“ in Berlin-Neukölln und bin auch Generalsekretär des Deutsch-Arabischen Rates. Und ich bin Politikwissenschaftler, staatlich anerkannt, und arbeite in verschiedenen Projekten zur Radikalisierungsprävention und zur Bekämpfung von Antisemitismus. Im Irak war ich Abgeordneter im nationalen Parlament, und dort habe ich mich 2013 ganz gezielt für etwas eingesetzt, woran ich zutiefst glaube: Frieden mit Israel und einen ehrlichen, respektvollen Dialog mit der jüdischen Gemeinschaft in den USA. Ich träumte von einem kulturellen Austausch zwischen dem irakischen und dem israelischen Volk – von Mensch zu Mensch, Herz zu Herz. Doch dieser Traum hatte seinen Preis. Die schiitisch-islamistischen Parteien, besonders die unter iranischem Einfluss, sahen in mir einen Verräter. Sie haben mehr als sieben Mal versucht, mich zu ermorden. Schließlich wurde ich verschleppt und zwei Jahre lang in einem geheimen Gefängnis festgehalten – mitten in Bagdad, im Al-Muthanna-Flughafengefängnis. Diese zwei Jahre waren die dunkelsten meines Lebens. Ich wurde isoliert, misshandelt, gedemütigt. Ich wusste oft nicht, ob ich den nächsten Tag noch erleben würde. Aber selbst in dieser Dunkelheit habe ich meinen Glauben nicht verloren – an die Menschlichkeit, an die Freiheit, an den Frieden. Nur durch internationalen Druck, vor allem von Seiten der UNO und durch mutige Stimmen aus der irakischen Zivilgesellschaft kam ich frei. Doch der Druck und die Drohungen nahmen kein Ende. Also entschloss ich mich schweren Herzens, mein Land zu verlassen – um zu überleben. Heute lebe ich in Berlin. Ich bin auch deutscher Staatsbürger und leite hier eine der erfolgreichsten zivilgesellschaftlichen Organisationen im Bereich gesellschaftlicher Frieden und Integration. Wir haben große Erfolge darin erzielt, Menschen unterschiedlicher Herkunft zusammenzubringen, Brücken zu bauen und eine gemeinsame, friedliche Zukunft zugestalten. Ich kämpfe weiterhin für das, woran ich glaube: Dass Israelis überall auf der Welt in Frieden leben dürfen. Dass Dialog stärker ist als Hass. Und dass auch die Wunden zwischen unseren Völkern eines Tages heilen können.


Die Massaker der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 üben ja einen sehr starken Einfluss weltweit auf die Beziehung zwischen Muslimen und Juden, Israelis und der arabischen Welt aus. Auch in Deutschland sind die Auswirkungen zu spüren. Können Sie mir erzählen, inwiefern das auch Auswirkungen auf Ihre Arbeit hier in Neukölln hat?


Der 7. Oktober war für uns eine Katastrophe. Das war ein Terroranschlag gegen andere Menschen, gegen Israelis. Wir finden das nicht gut, wir waren supertraurig hier in der Deutsch-Arabischen Schule, auch unser Team. Wir haben als Signal gegen das palästinensische Netzwerk „Samidoun“ und die Hamas, beides ja Terrororganisationen, gemeinsam mit dem Bürgermeister von Neukölln und mit verschiedenen arabischen Freunden und Unterstützern am 12. Oktober 2023 eine Petition gegen den Terror unterschrieben. Natürlich finden wir auch den Konflikt zwischen Israelis und Muslimen verhängnisvoll, der seit mehr als 75 Jahren besteht. Das ist schlimm für beide Seiten. Aber das, was am 7.Oktober 2023 geschehen ist, war ein Terroranschlag gegen Israelis. Was dann passiert ist in Neukölln, das Verteilen von Süßigkeiten auf der Sonnenallee noch am Tag der Massaker, das verurteilen wir. Es waren diejenigen mit der Hamas-Ideologie oder Anhänger von Hamas oder des Palästinensischen Islamischen Djihad (Al Jihad al Islami) und anderer radikaler Organisationen. Ehrlich gesagt, kann ich bestätigen, dass 70 Prozent der palästinensischen Gemeinschaft diesen Anschlag nicht akzeptiert haben. So viele Menschen sind gegen diese Art von Radikalismus, trauen sich aber nicht, offen darüber zu sprechen, weil sie Angst vor diesen Leuten haben. Die sind gefährlich.


Sie sprechen von der palästinensischen Gemeinde, die auch hier in die Sprachschule kommt?


Ich leite die Deutsch-Arabische Schule seit fünf Jahren, und den Deutsch-Arabischen Rat -mit 36 Vereinen - seit zwei Jahren. Zwölf davon sind palästinensische Vereine, und wir haben über 2000 Mitglieder. 40 Prozent davon sind Mitglieder mit berufsmedizinischem Hintergrund. Viele benennen das, was am 7. Oktober passiert ist, ganz klar als das, was es war: ein Terroranschlag der Hamas. Sie sind auch gegen „Samidoun“ und die Hamas und diese radikale Linke in Deutschland, insbesondere in Berlin-Neukölln. Aber sie trauen sich nicht, das auszusprechen, weil sie Angst haben. Wir sprechen intern über dieses Thema, aber viele Leute sind nicht so mutig. Sie haben Angst, den Radikalen auf der Straße zu begegnen. Immerhin gibt es hier zwei, drei Moscheen, die zur Hamas oder dem Islamischen Jihad zählen. Ich bin wohl der einzige Vertreter arabischer Gemeinden, der offen gesagt hat: „Wir stehen an der Seite Israels gegen den Terroranschlag der Hamas“. Im Prinzip bin ich so etwas wie der Bevollmächtigte von 70 Prozent der palästinensischen Gemeinden und von 80 Prozent der arabischen Gemeinden in Berlin. Sie betrachten mich als ihren Vertreter, der in ihrem Namen sprechen darf. Sie sagen: „Du kannst das, du hast Kraft, du bist mutig, und du redest mit allen“. Ich habe keine Angst. Ich bin hier alleine, die anderen haben Familie und Kinder. Die Leute haben Angst vor den Hamas-Anhängern. Und, sorry, ich muss sagen, die Polizei schützt die jüdischen Gemeinden nicht gut. Die Polizeipräsidentin hat gesagt, man sollte nicht mit jüdischen Symbolen in Neukölln spazieren gehen. Entschuldigung, wir sind in einem europäischen Land, in Deutschland, und sie können Juden nicht schützen? Das ist eine Katastrophe. Wir müssen aber auch diesen Konflikt im Nahen Osten beenden - und hier vor Ort die Spannungen zwischen jüdischen und muslimischen Gemeinden abbauen. Bei den Konflikt-Narrativen gibt es seit 1948 auch viele Verzerrungen von palästinensischer Seite. Die Palästinenser verstehen aber auch, welche Fehler ihre Führungen gemacht haben. Und ich sehe jetzt diese mutigen Leute in Gaza, die gegen die Hamas demonstrieren: Wir müssen auf diese Menschen schauen und ihnen zuhören, denn das ist ein gutes Zeichen.


Mit welchen interkonfessionellen Ansätzen arbeiten Sie in der Deutsch-Arabischen Schule in Neukölln?


Wir haben eine Kooperationspartnerschaft mit Hillel Deutschland, mit deren jüdischen Studierenden in Deutschland, und wir arbeiten mit verschiedenen jüdischen Gemeinden zusammen. Ich kaufe zum Beispiel immer Matzen bei den jüdischen Gemeinden. Im April 2024 haben wir uns im Rathaus Neukölln mit jungen Israelis getroffen. Da waren 150 Mädchen und Jungen aus der arabischen Gemeinde beteiligt, von israelischer Seite waren mehr als 40 Mädchen und Jungen dabei. Das war super. Sie haben sich über vieles ausgetauscht, zum Beispiel über Urlaub, Strand, Essen. Das ist meine Vision für die Zukunft: Alle treffen sich gemeinsam und reden miteinander.


Das ist jetzt ein gutes Stichwort. Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit, und woher kommt Ihr Mut?


Unsere junge Generation, unsere Kinder, sollen ohne Hass aufwachsen, ohne radikale Gedanken, ohne Terrorismus. Ich habe im Irak drei Kriege erlebt. Durch diese Kriege wurde nichts gewonnen, nur die jeweiligen Politiker und Diktatoren und ihre Familien ziehen ihren Nutzen daraus. Sie führen ein schönes Leben. Ich möchte eine junge, neue Generation hier in Deutschland und in Nahost sehen. Sie müssen in Frieden leben dürfen. Einfach auf der Straße laufen, spazieren gehen, sich austauschen, mit anderen austauschen, egal ob Jude, Muslim, Araber. Ein Austausch von Mensch zu Mensch. Mit dieser Motivation gehe ich ins Bett, und ich denke dann: morgen mache ich wieder etwas gegen diese Terrororganisationen. Ich mache denen Ärger, schreibe zum Beispiel einen Post auf Facebook. Wenn ich ins Bett gehe, dann sage ich mir: „Morgen mache ich der Hamas Ärger, oder dem Islamischen Staat“. Und den anderen umso mehr Mut. Dieser Vision widme ich mein Leben, das sind meine Ziele und meine Träume.


Wie kann Sie dabei der deutsche Staat unterstützen?


Wir bekommen jetzt Schutzmaßnahmen wegen der Schmierereien an unserer Fassade und auf einem Schild, auf dem der Name unserer Schule steht. Mein Name auf dem Klingelschild wird immer wieder mit roten Hamas-Dreiecken beschmiert. Des Öfteren erreichen mich anonyme Nachrichten über Whatsapp, von einer unbekannten Nummer. Die sagen dann,„Hudhi, geh nach Bielefeld und arbeite im Hühnerstall“. Und ich antworte dann: „Ich bin Politikwissenschaftler, kein Agrarwissenschaftler, ich kann das nicht machen, sorry.“ Wir hier sind Konkurrenz für die radikalen islamischen Ideologen, für die Muslimbruderschaft. Sie haben einfach Angst, ihren Einfluss zu verlieren. In der Schule lernen 700 Kinder, und wir haben einen Elternbeirat mit mehr als 2000 Menschen. Wir sind gegen Terrorismus. Bereits vor dem 7. Oktober 2023 haben wir mit Hillel Deutschland zusammen gearbeitet. Die pro-palästinensischen Demos sind nicht pro-palästinensisch. Das sind Hassdemos gegen Juden und Israel. Deswegen sind wir immer präsent in den Sozialen Medien und in der Presse. Wir sind aktiv gegen diese Leute mit einer radikalen Ideologie.


Warum engagieren Sie sich so stark im Kampf gegen Antisemitismus? Warum ist das sowichtig für Sie?


Wenn ich anfange, mit dieser neuen Generation gegen Antisemitismus zu arbeiten, gegen Radikalisierung, gegen Terrororganisationen, dann möchte ich, dass sie verstehen, warum das alles gerade passiert. Denn es geht um ihre Zukunft. Wir müssen bei dieser Generation etwas erreichen, wir sind Soldaten für Frieden. Ich blicke jetzt ein wenig in die Zukunft: Diese junge Generation ist noch nicht verloren. Aber wir müssen ihnen Visionen vermitteln. Mein Ziel ist es, dass die jungen Leute in zehn Jahren kein Problem mehr mit Israelis oder Juden haben. Wie gesagt, ich möchte, dass sie einfach alle zusammensitzen, zusammen essen und Partymachen, tanzen und dann nach Hause gehen, dass sie Nachbarn und Freunde sind. Bei den Generationen vor ihnen sind viele nicht so weit. Meine Vorstellung ist es, dass der eine sagt:„Ich bin David“, und der andere sagt: „Ich bin Hudhaifa“, und dann sollen sie keine Probleme miteinander haben. So sehe ich die Zukunft. Ich beachsichtige, zu gegebener Zeit auch mit Schülern, Aktiven aus dem Elternbeirat und Vertretern arabischer Vereine eine Reise nach Israel zu unternehmen. Wir müssen nur noch ein paar Probleme mit der Reise-Förderung klären.

 
 
 

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